Antje Szillat im Gespräch

"Das ist wie bei Pipi Langstrumpf "Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt."

Beitrag von Janett Cernohuby | 26. Oktober 2017

Rick, Flätscher, die Super-Jumper, Tessa, Maja & Motte, die Fußballgang - egal in welchem Genre sie schreibt, Antje Szillat gelingt es ihre Leser in den Bann zu ziehen und sie witzige, unterhaltsame, spannende und vor allem großartige Abenteuer erleben zu lassen. Auf der Frankfurter Buchmesse 2017 haben wir die deutsche Kinder- und Jugendbuchautorin zu einem Interview getroffen.

Antje Szillat

Du kommst gerade von einer Signierstunde. Wie ist das für dich?

Es klingt vielleicht etwas seltsam, aber eigentlich ist es normal. Ich lese sehr viel in Schulen und auf Festivals. Da ist der Andrang auch größer als hier auf der Buchmesse, wo es viele Signierstunden mit Autoren gibt.
Ich freue mich, denn es kommen viele, die ich kenne und die die Signierstunde für ein persönliches Treffen nutzen.

Was bedeuten dir die Treffen mit den kleinen Lesern?

Ich schreibe ja ganz bewusst für Kinder. Das Kinderbuch ist mein absolutes Lieblingsgenre. Ich mag Kinder einfach und komme gerne mit ihnen zusammen.

Was nimmst du aus deinen Lesungen mit? Wie reagieren die Kinder, wie nehmen sie Lesungen an?

Wenn ich ein neues Buch herausgebracht habe, ist es für mich immer wichtig zu sehen, wie Kinder auf dieses reagieren. Ich lese nicht wirklich, es ist eher ein kleines Schauspiel. Ich bereite einige Stellen vor, für die ich meistens Kinder auf die Bühne hole und die diese dann mitlesen oder auch schon mal nachspielen.
Ich beobachte, wie das bei Kindern ankommt und stelle auch schon mal nach und nach ein paar Lesungen das Programm um. Das kommt aber nicht immer an. Aus der Rick-Reihe habe ich viel aus Band 1 und 3 gelesen. Irgendwann wollte ich Abwechslung haben und habe andere Szenen gewählt. Allerdings habe ich sofort gemerkt, dass das nicht funktioniert und ich bin beim alten geblieben.
Für mich ist es sehr wichtig zu sehen, wie Kinder auf das Programm reagieren.

Hinzu kommt, Schreiben ist ein sehr einsamer Job. Du bist in erster Linie mit dir und deinen Gedanken alleine. Lesungen sind dann ein Herauskommen aus dieser Einsamkeit. Das ist sehr wichtig. Lesungen machen mir viel Spaß. Nicht immer, manchmal habe ich keine Lust, aber wenn ich dann vor den Kindern stehe, ist das ganz schnell anders.
Ich muss auch sagen, 90% der Lesungen sind immer gut, 10% nicht und innerhalb dieser 10% sind zu 90% die Lehrer schuld.

Dabei heißt es doch, Kinder lesen nicht mehr, Kinder können nicht mehr zuhören?

Eins ist mal klar. Wer heute meint, er kann sich vor eine Klasse oder Gruppe Kinder setzen ganz nett vorlesen, ohne ein besonderes Programm, der hat es schwer. Kinder sind ein anderes Publikum als Erwachsene. Erwachsene, vielleicht auch noch Jugendliche, sitzen in einer Lesung, hören sich das an, klatschen hinterher noch artig, kaufen auf gar keinen Fall das Buch, gehen nach Hause und sagen zu ihrer besten Freundin „war ja furchtbar“. Kinder sitzen da, hören sich das an, finden das doof und fangen sofort an Randale zu machen. Die sind natürlich das ehrlichere Publikum, und die, die mehr von dir abverlangen. Du musst im Grunde genommen immer eine Show bieten.
Die Kinder nehmen das in der Regel gut auf, es hat aber auch immer etwas damit zu tun, wie die Lehrer die Lesung vorbereiten. Es gibt Lehrer, die können Kinder toll motivieren und Kinder freuen sich auf die Lesung. Aber es gibt auch Lehrer, die weniger Begeisterung mitbringen. Allerdings rede ich gerade von diesen 10 %. Es gibt wahnsinnig viele engagierte Lehrer, denen es auch Spaß macht.

Antje Szillat Du schreibst Kinderbücher für fast alle Altersgruppen. Welche davon liegt dir am meisten am Herzen?

Eigentlich immer die, für die ich gerade schreibe. Ich habe ja auch seitens der Verlage die Möglichkeit, sehr vielseitig schreiben zu können. Vom Bilderbuch bis zum Erwachsenenbuch. Das ist wirklich gut. Komödie, Krimi, Tragödie, Spannung - ich konnte mich von Anfang an breit aufstellen.
Ich schreibe wahnsinnig gerne Kinderbücher, mal einen Flätscher oder Rick, dann eine Fabelhafte Feline. Danach bin ich glücklich, wenn ich mich mal wieder einem Jugendroman widmen kann. Oder einem Erwachsenenroman, der jetzt kommt. Danach kann ich wieder Feline schreiben. Das ist ganz toll.
Bei den Lesungen ist es auch so. Ich finde Kinderlesungen toll und gebe sie eine Zeitlang. Dann bin ich auch wieder froh, wenn ich vor Jugendlichen und Erwachsenen lese. Ich bin sehr froh und sehr dankbar, dass ich nicht auf eins festgelegt bin.

Gibt es ein Genre, das du gar nicht magst?

Fantasy. Nein, Science Fiction. Fantasy à la Kai Meyer ist nicht meins, aber phantastische Elemente schon. Ich plane einen Jugendroman, da werde ich sehr Phantastisch. Das hätte ich mir vor ein paar Jahren nicht vorstellen können. Aber jetzt habe ich Lust dazu.


Science Fiction ist nichts für dich?

Nein, es ist mir eine ganz fremde Welt, die ich nicht verstehe.
Was ich auch nie gerne gelesen habe, sind historische Romane. Dann habe ich mir - aus der Not heraus - ein Hörbuch kaufen müssen. Auf längeren Fahrten höre ich wahnsinnig gerne Hörbücher. Und es gab eben nur diesen historischen Roman. Gelesen von Anna Thalbach.

Ich konnte nicht aufhören. Ich war schon längst angekommen, ich bin in meinem Auto sitzen geblieben, ich musste wissen, wie es weitergeht. SENSATIONELL. Es hat auch etwas damit zu tun, wer es vorträgt.
Daher würde ich sagen, bis auf Science Fiction gibt es kein Genre, das ich ablehne. Außer ganz spezielle Thriller, von denen man schlechte Träume bekommt. In denen Gewalt an Kindern verübt wird. Das habe ich einmal gelesen und fand es ganz gruslig.

Erinnerst du dich noch an dein erstes Buch?

Ja, das ist noch gar nicht so lange her. Das hieß "Motiv Angst" und ist eines von diesen speziellen Jugendbüchern gewesen, die auch als Klassenlektüre eingesetzt werden. In dieser Art habe ich noch "Alice im Netz" geschrieben, das nach wie vor sehr erfolgreich ist. Ich habe damals eine Reportage für ein Printmagazin gemacht. Ich sollte etwas zum Thema Mobbing in der Schule schreiben. Das hat mich so interessiert, dass daraus eben das Buch geworden ist.

Wie bist du zum Schreiben gekommen? Warum Kinderbücher?

Mein erstes Buch war das Jugendroman "Motiv Angst". Danach habe ich einige Reality-Jugendbücher geschrieben - über Alkohol, Internetstalking, rumänische Flüchtlinge, Menschenhandel. Die Recherchen hierzu nehmen einen ziemlich mit und irgendwann wollte ich etwas anderes machen. Zufällig suchte ein Verlag gerade Stoff für eine Jungsreihe. Ich habe zugesagt, denn ich hatte Lust, mal etwas Witziges zu schreiben. Und da ist mir Rick eingefallen. Ich habe lange überlegt, wie das aussehen könnte. Ein Junge, wohnt in einer chaotischen Familie - ja, da habe ich Blut geleckt. Ich habe an Rick gerne geschrieben, der hat mir unheimlich viel Spaß gemacht.

Und jetzt bist du bei den Pferden angelangt?

Ja. Das ist ganz mein Genre. Ich habe unter Pseudonym "Fritzi Pferdglück" geschrieben.
Pseudonym deshalb, weil ich damals sehr viele andere Bücher am Start hatte und sich der Verlag entschieden hat, mich unter Pseudonym schreiben zu lassen. Das hat irrsinnig viel Spaß gemacht. Ich finde, Pferdebücher sollten wirklich nur von Menschen geschrieben werden, die sich mit Pferden auskennen.
Nach Fritzi Pferdeglück kam gleich Tessa hinterher. Das ist eine ganz reale Reihe, nicht verblendet, nicht überzeichnet.
Zusammen mit Frauke Scheunemann, einer guten Freundin von mir, habe ich eine Ponyreihe geschrieben, die im nächsten Frühjahr erscheint. Die ist schon lange fertig und auch ziemlich abgefahren. Frauke ist das Pony, ich bin das Mädchen. Also sehr witzig.

Antje Szillat: TessaDu hast für Jungs geschrieben, du hast für Mädchen geschrieben. Ist es schwierig, die Zielgruppen zu wechseln?

Nein, ich habe zwei Jungs, zwei Mädchen, also vier Kinder. Ich weiß nicht, ob es damit etwas zu tun hat.
Ich schreibe sehr gerne für Jungs. Ich mag das Rotzige, das macht mir Spaß.

Fabelhafte Feline ist auch eine Reihe, die zunächst ganz beruhigend und zauberhaft beginnt. Sie zieht in dieses alte Haus ein, kommt die Treppe hoch und hört ein Knarren. Sie sieht Spinnenweben, riecht den Duft dieses alten Hauses. Sie entdeckt die Einmachkammer, mit den ganzen Konserven, der Erdbeermarmelade. Dann sieht sie aus dem Fenster, sieht diesen unglaublichen Garten. Die Geschichte ist sehr stimmungsvoll. Kinder müssen sich darauf einlassen, denn zunächst passiert erst mal gar nichts. Der zweite Band bietet wesentlich mehr Action. Viele Erwachsene sagten, wie schön, wie wohltuend das geschrieben ist. Sie sagten aber auch, dass sie ihr Kind zum Lesen motivieren mussten. "Mama, wann passiert was?". Beim zweiten Band ist gleich von vornherein mehr Action. Für Kinder funktioniert das glaube ich besser, es ist gewohnter. Ich finde aber, man sollte mit Kindern auch die ruhigen Bücher lesen. Ihnen sagen: "Hör doch mal zu. Wie findest du das? Wie wirkt das auf dich?"

Bei all den Themen - Jungs, Mädchen, Fußball, Schulgeschichten, Tiergeschichten, Pferdebücher, Jugendbücher - Was gefällt dir am besten, wo fühlst du dich Zuhause?

Rick habe ich unglaublich gerne geschrieben. Der hat mir total gelegen. Ich wurde ganz oft gefragt, ob es für Rick ein Vorbild gibt. Er sei sicherlich einer meiner Söhne oder mein Mann. Ich habe immer geantwortet, dass ich Rick sein könnte.

Ich schreibe Flätscher unheimlich gern. Das ist mein Favorit. Der macht Spaß, die Zusammenarbeit mit Jan Birck, dem Illustrator, ist toll.
Wenn ich schreibe, bin ich sofort drinnen in seiner Welt. Ich kann mit Flätscher maßlos übertreiben, der kann sich alles erlauben. Mit einem Stinktier als Detektiv kann keiner zu mir sagen, dass etwas nicht passt. Das war bei Rick anders. Der war real, spielte in Hannover, an realen Plätzen. Da musste ich mir schon mal von Kindern anhören, "es gibt keine grüne Parkbank, die sind braun". Man muss genau aufpassen. Bei Flätscher geht alles. Das ist wie bei Pipi Langstrumpf "Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt".

Lesen Kinder heute wirklich weniger?

Ich habe nicht das Gefühl, sie lesen weniger. Ich glaube, Schuld sind nicht die Kinder. Es sind die Erwachsenen. Anders gesagt, meine Mutter hat immer viel gelesen - übrigens historische Romane. Ich habe mal gesagt, ich bin geboren worden und habe erst meine Mutter gesehen und dann ein Buch. Ich habe meine Mutter immer mit einem Buch gesehen. Das war für mich und meine kleine Schwester ein Vorbild. Wir waren immer so erpicht drauf zu erfahren, was das Besondere daran ist. Ich konnte es selbst kaum abwarten, lesen zu können.
Das ist ja heute ganz oft nicht gegeben. Es gibt wahnsinnig viele Familien, in denen es keine Bücher mehr gibt. Keine Tageszeitung. Alles kommt nur noch online. Natürlich, das ist super praktisch. Aber Kinder haben das einfach nicht mehr Zuhause. Woher sollen sie es dann kennen?
Kinder mögen Geschichten, heute genauso wie früher. Nur wir haben dagesessen und zugehört. Heute muss immer etwas passieren. Kinder werden anders groß, sie werden dauerberieselt. Ich kann nicht zu meinem Kind sagen, leg mal dein Handy weg, wenn ich selbst damit dasitze. Wenn ich von meinen Kindern erwarte, dass sie etwas Bestimmtes machen, muss ich ihnen das Vorleben.

Gestern wurde der Deutsche Kinder- und Jugendliteraturpreis verliehen. Hast du es verfolgt? Deine Meinung zu den Gewinnerbüchern?

Ich habe mich schon so oft dazu ausgelassen. Ich will dazu nichts mehr sagen. Ich find es sehr, sehr schade. Es gibt so viele Preise. In anderen Ländern gibt es Preise nur für heimische Autoren, nur in Deutschland nicht. Das finde ich nicht in Ordnung. Warum gibt es nicht einfach auch mal einen Preis für Deutsche Autoren? Wir haben verdammt gute Autoren. Das ärgert mich beim Deutschen Kinder- und Jugendliteraturpreis.

Was sind deine nächsten Pläne?

Von Tessa kommt der dritte Band, die Reihe ist auf drei Bücher ausgelegt.
Bei Droemer Knaur wird mein Erwachsenenroman erscheinen. Und bei dtv geht es mit Flätscher weiter. Im Frühjahr kommt Bulli und Lina, was ich mit Frauke Scheunemann geschrieben habe. Es kommen noch einige Bücher.

Liebe Antje, es hat mich sehr gefreut, dich hier auf der Messe getroffen und kennengelernt zu haben. Vielen Dank, dass du dir die Zeit für das Interview genommen hast. Ich wünsche dir weiterhin viel Erfolg mit Tessa, Flätscher, Feline und all den anderen Büchern.

Antje Szillat

Antje Szillat im Gespräch