Jutta Wilke über ihren Erstling "Holundermond"

Beitrag von Janett Cernohuby | 29. März 2011

Im Bereich Jugendliteratur gibt es einen neuen Geheimtipp. Die ehemalige Anwältin Jutta Wilke veröffentlichte unter dem Titel 'Holundermond' zu Beginn des Jahres 2011 ihren ersten Jugendroman. In diesem entführt die Autorin ihre Leser vor die Tore Wiens, genauer gesagt in das Kloster Mauerbach. Hier erleben die junge Nele und ihr Freund Flavio das Abenteuer ihres Lebens. Der Redaktion von Janetts Meinung lag ein Exemplar zur Rezension vor. Dass uns das Werk sehr gut gefallen hat, kann man auf unserer Seite nachlesen. Gleichzeitig machte es uns neugierig und so baten wir die Autorin um ein Interview. Dieser Bitte kam sie gerne nach.

Jutta WilkeJanetts Meinung: Ihr Erstlingswerk 'Holundermond' entführt die LeserInnen vor die Tore Wiens, in das Kloster Mauerbach. Wie kamen Sie auf diesen Schauplatz?

Jutta Wilke: „Schuld“ daran ist meine beste Freundin, die mir vor einigen Jahren eröffnete: „Ich gehe ins Kloster.“
Es stellte sich dann heraus, dass sie sich von Deutschland aus in einen Österreicher verliebt hatte und zu diesem ziehen wollte. Ihr neuer Freund arbeitet in der Kartause Mauerbach, die ja heute Museum und kein Kloster mehr ist, und lebt dort in einer Dienstwohnung. Ich habe die Beiden dort oft besucht und von Anfang an war ich fasziniert von dem schönen Kloster und seiner spannenden Geschichte.

JM: Denkt man an Wien, denkt man zuerst Orte wie der Prater mit seinem Riesenrad oder Schönbrunn mit Sisi. Ihre Helden jedoch besuchen den Naschmarkt und - ganz untypisch - die Mariahilfer Kirche sowie die soziale Einrichtung der Gruft. Warum wählten Sie für den Mönch Theophil diesen Ort aus, wo doch der Stephansdom bekannter ist?

JW: Ich wollte ja keinen Reiseführer über Wien schreiben. Zunächst wollte ich den Mönch Theophil sogar als eine Art Eremit im Wiener Wald hausen lassen, aber aus dramaturgischen Gründen brauchte ich ihn in Wien.
Als ich nach Orten für meine gestohlenen Kirchenschätze suchte, schaute ich mir im Internet viele Wiener Kirchen an. Die Mariahilfer Kirche hat mir einfach sofort imponiert, außerdem ist sie gut vom Naschmarkt aus zu erreichen. Dann stieß ich im Netz auf die Gruft, die heute tatsächlich zur Betreuung von Obdachlosen umfunktioniert worden ist. Diese Idee gefiel mir ausgesprochen gut und deshalb nutzte ich die Gelegenheit, mit meinem Buch auf diese besondere Einrichtung ein wenig aufmerksam zu machen.

JM:
Die im Buch vorkommenden Personen sind sehr glaubwürdig und lebensecht dargestellt. Gibt es einen Charakter, der Ihnen während des Schreibens besonders ans Herz gewachsen ist?

JW: Im Grunde sind sie mir alle ans Herz gewachsen.
Jan, der mit seiner Leidenschaft für seinen Beruf sein Familienglück aufs Spiel gesetzt hat.
Giovanni, der sich so viel Mühe gibt, alles richtig zu machen und sich als alleinerziehender Vater doch immer wieder als Versager fühlt.
Nele, die sich noch gegen das Erwachsenwerden wehrt und sich wie ein Vogel fühlt, den man aus dem Nest geschubst hat.
Flavio, der seinen Vater heiß und innig liebt und es ihm doch irgendwie nie recht machen kann …
Ich mochte sie alle sehr gerne, was sich auch daran zeigt, dass ich immer wieder die Erzählperspektive gewechselt habe.
Ursprünglich wollte ich Holundermond komplett aus der Sicht von Nele erzählen, bis ich merkte, das funktioniert so nicht. Neles Geschichte ist ganz eng verknüpft mit den Geschichten der anderen Charaktere in diesem Buch. Deshalb habe ich mich dann dazu entschlossen, auch die Sicht der anderen zu zeigen und im Grunde hätte ich für jede Figur eine ganz eigene Geschichte schreiben können.

JM: Autoren haben meist eine eigene Beziehung zu ihren Charakteren, die sich manchmal etwas anders entwickeln, als ursprünglich angedacht. Ist es Ihnen während des Schreibens geschehen, dass Ihnen ein Charakter auf der Nase herumgetanzt ist oder sich in eine völlig andere Richtung entwickelt hat?

JW: Bei dieser Frage musste ich lachen, denn das war tatsächlich so.
Flavio ist mir von Anfang an ziemlich auf der Nase herumgetanzt. Flavio ist ja ein kleiner Draufgänger. Und ihm gab es nie genug Abenteuer. Während des Schreibens musste ich ständig aufpassen, dass er sich nicht zu sehr in den Vordergrund drängt. Aber als ich ihm ein paar Abenteuer besorgte, kamen wir bestens miteinander aus. Die Szene, in der Flavio von Holzer mit in die Vergangenheit genommen wird, die gab es in meinem ersten Entwurf noch nicht und alles wirkte zu glatt. Damals dachte ich dann: Na gut, Flavio, du wolltest mehr Abenteuer erleben, die kriegst du jetzt von mir. Ich gebe zu, ich habe es sehr genossen, ihn auch mal ein wenig zittern zu sehen. ;-)

JM:
Bleiben wir bei den Charakteren. Vivianne umgibt von Anfang an eine geheimnisvolle, und magische Aura. Im späteren Verlauf erweist sie sich als wichtige Hilfe für Nele und Flavio. Gibt es ein Vorbild, dem Vivianne nachempfunden ist?

JW: Es gibt nicht wirklich ein Vorbild. Allerdings habe ich ihr bewusst den Namen Viviane gegeben.
Eins meiner ersten richtigen Lieblingsbücher war vor vielen Jahren „Die Nebel von Avalon“ von Marion Zimmer-Bradley.
Die Artus-Sage mochte ich schon immer, aber sie aus der Sicht von Frauen zu lesen, war damals für mich etwas ganz besonderes. Ich liebte diese Vorstellung von zwei Welten auf einer Insel, die nur für wenige Menschen sichtbar wurden. Die Priesterinnen, die auf dieser Insel Avalon lebten, konnten ja in beiden Welten wandeln. Deshalb passte für mich der Name Viviane, den die oberste Priesterin in diesem Roman trägt, besonders gut. Denn auch meine Viviane ist ja im Grunde eine Wanderin zwischen den Welten.

JM: 'Holundermond' ist voller fesselnder Szenen. Gibt es eine Szene, die zu schreiben Ihnen besondere Freude bereitet hat?

JW: Es gab Szenen, die mir leichter gefallen sind und solche, für die ich einfach länger gebraucht habe.
Besondere Freude haben mir immer die Szenen gemacht, in denen Holzer auftauchte. Holzer war für mich ein vollkommen faszinierender Charakter. Schon optisch ist er ja zunächst mal alles andere als der typische Bösewicht in Kinderbüchern. Holzer ist äußerlich aalglatt und gepflegt, hat sogar manikürte Fingernägel. Aber innerlich ist er total zerrissen. Im Grunde hat er mir immer leid getan. Holzer wurde ja nicht böse geboren. Er hat als Kind so sehr unter dem frühen Tod seiner Eltern gelitten, dass er jemanden brauchte, dem er die Schuld dafür geben konnte: Gott. Und aus dem Vorwurf wurde der Hass, der Holzer im Grunde dann aufgefressen hat.
Eine meiner liebsten Szenen ist das dritte Kapitel, in dem Holzer in seinem Büro sich selbst reflektiert und seine weiteren Schritte plant. Ich glaube, hier ist besonders gut zu sehen, wie es tief innen in diesem Menschen aussieht. Interessanterweise ist das dritte Kapitel auch die Szene, die ich zu allererst für diesen Roman geschrieben habe. Sie sollte ursprünglich ganz am Anfang stehen.

JM: Am Ende des Buches findet sich dieser Absatz: 'Vier Engel, vier Evangelisten, vier Gegenstände, vier Kinder. Wenn sie eins gelernt hatte in den letzten Tagen, dann, dass das alles kein Zufall war.' Er steht einerseits unscheinbar da, andererseits weckt er auch die Frage, ob es weitere Romane über Nele, Flavio und vor allem Vivianne geben wird.

JW:
Ich habe ein neues Abenteuer für Nele und Flavio und auch Viviane im Kopf. Ob daraus auch ein Roman werden wird, ist mehr eine Entscheidung meines Verlags als meine. ;-)

JM: Bereits als Kind entdeckten Sie, wie es in Ihrem Lebenslauf nachzulesen ist, die Liebe zu Büchern. Gibt es Autoren, die Sie bevorzugen? Beeinflussen diese auch ein wenig Ihre Arbeit?

JW: Es gibt eine Menge Autoren, die ich sehr gerne lese. Sie hier alle aufzuführen, würde den Rahmen dieses Interviews sprengen.
Sicher beeinflussen diese Autoren auch meine Arbeit. Ich glaube nicht, dass man sich davon ganz frei machen kann. Man wird ja geprägt durch die Bücher, die man liest, durch die Musik, die man hört, durch die Menschen, mit denen man sich umgibt. Bewusst ist uns das selten. Und so gibt es auch keinen Autor, von dem ich jetzt sagen könnte: So wie der oder wie die möchte ich gerne schreiben. Sondern ich versuche schon, einfach so zu schreiben, wie ich es gerne lesen würde.

JM: Der Schritt von der Rechtsanwältin zur Buchautorin war sicherlich kein kleiner. Gibt es Momente, in denen Sie auf ihren alten Job zurückblicken?

JW:
Auch hier musste ich wieder schmunzeln. Ja, diese Momente gibt es. Aber ich blicke niemals wehmütig zurück, sondern immer erleichtert. Im Grunde bin ich jeden Tag glücklich darüber, dass ich diesen Schritt gegangen bin. Denn es macht tausendmal mehr Spaß, eine Geschichte zu erzählen als einen Schriftsatz für das Gericht aufzusetzen.
Mir wird oft von Verlagen und auch von Interviewpartnern ;-) gesagt, dass ich ziemlich schnell sei im Beantworten von Anfragen oder im Abgeben von Texten. Das habe ich wohl tatsächlich meinem alten Beruf zu verdanken. Als Anwältin muss man ja ständig Fristen einhalten. Versäumt man die Frist, ist im schlimmsten Fall der Prozess nur deswegen verloren. Das ist ein Risiko, das man eben dadurch umgeht, dass man seine Akten immer gleich erledigt und nicht erst auf die lange Bank schiebt. Und dieses Prinzip habe ich offensichtlich sehr verinnerlicht.

JM: Was sind Ihre nächsten Pläne oder Projekte?

JW: Ich möchte auf jeden Fall weiter für Kinder und Jugendliche schreiben. Aktuell schreibe ich an einem Kinderbuch für Leser ab 8 Jahre, danach steht ein spannender Jugendkrimi auf meiner Projektliste.
Im Kopf habe ich noch so viele Geschichten, dass ich auf jeden Fall so schnell nicht wieder mit dem Schreiben aufhören möchte.

JM: Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für das Interview genommen haben. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg mit Ihrem aktuellen Roman und bin auch schon gespannt auf weitere Veröffentlichungen.

JW: Ich habe zu danken. Ich fand die Fragen spannend und es hat mir viel Spaß gemacht, mich auf diese Weise noch einmal mit dem Holundermond und seinen Charakteren auseinanderzusetzen. Vielen Dank dafür!

Jutta Wilke über ihren Erstling "Holundermond"