Der kleine Eiskönig

Antolin Quiz
von Uwe-Michael Gutzschhahn, Linda Wolfsgruber (Illustrator*in)
Rezension von Janett Cernohuby | 10. Februar 2023

Der kleine Eiskönig

Was bleibt von einem Traum? Manchmal gar nichts, manchmal ein schwaches Gefühl. Selten bleibt uns ein Traum klar in Erinnerung und beschäftigt uns noch lange nach dem Aufwachen. Was mag er bedeuten? Worauf will er hinweisen? Uwe-Michael Gutzschhahn geht einem seiner Träume in einem eindrucksvollen Bilderbuch nach, bei dessen Gestaltung er von der preisgekrönten Illustratorin Linda Wolfsgruber unterstützt wurde.

Ein Eisberg, ein Schiff und das endlose Meer

Es ist ein eigenartiger Traum, den er da hatte. In einem kleinen Schiff sitzend, schleppt er einen riesigen Eisberg übers Meer. Je weiter das Schiff fährt, desto kleiner wird der Eisberg. Von Anfang an sitzt eine Möwe auf ihm, oder vielmehr, sie thront dort. Still, stoisch sitzt sie, als wäre der Eisberg ihre Mitfahrgelegenheit vom Nordeis, wo immer wieder Eisbrocken abbrechen, zu … wohin auch immer das Schiff fährt. Sie bleibt sitzen, während der Eisberg im Laufe seiner Reise immer kleiner wird. Sie sitzt auch noch, als der Berg nichts mehr als ein kleiner Klumpen Eis ist. Gerade mal groß genug, um von einer Hand aus dem Meer gefischt zu werden. Mit einem lauten Aufschrei fliegt die Möwe davon. Zurück bleibt ein kleiner Rest, doch in seinem Inneren ist etwas eingefroren. Ein Zettel, mit einer Nachricht aus vier kurzen Worten…

Der kleine Eiskönig

Poetisches Kinderbuch

Viele Jahre schlummerte in Uwe-Michael Gutzschhahns Lade ein Text für ein Bilderbuch. Es ist ein ganz besonderer Text, der auf sehr poetische und auch träumerische Weise von der Reise eines Eisbergs erzählt. Einem Eisberg, gezogen von einem Schlepper, auf dessen Spitze eine Möwe sitzt. Das ist eigentlich auch schon die ganze Geschichte. Eine Geschichte, in der so wenig passiert, wie Illustratorin Linda Wolfsgruber zum Autor sagte, nachdem er ihr zum ersten Mal seinen Text zeigte. Und tatsächlich ist es so. Es passiert wenig, doch der Erzählende geht vielen Gedanken nach. Über Eisberge, über Möwen, über seinen Traum. Denn es ist ein Traum, von dem hier erzählt wird. Wer der Erzähler ist? Darauf gab es beim Werkstattgespräch während der Buchvorstellung in Wien keine konkrete Antwort. Das kann jede*r Lesende selbst entscheiden. Für die einen ist es das Mädchen, das wir eingangs im Buch sehen. Für die anderen sein Begleiter, der es an der Hand führt. Aber vielleicht sind auch diese beiden nur zwei Figuren aus dem Traum? Letztendlich hat wohl jede*r Einzelne ein anderes Verständnis davon, wer hier nun erzählt. Aber ist dieses Wissen wichtig? Ist es nicht die Kraft der Sprache, die vielstärker wirkt? Das Malen mit Worten, das Schaffen von Emotionen und Bildern vor dem inneren Auge wirken sehr stark auf die Leserschaft. Wie in einem Traum plätschert die Erzählung dahin. Verführt uns zu Gedanken über Ägypten, über schmelzende Eisberge und über eine Möwe, die eine Mitfahrgelegenheit gefunden hat. Wer möchte, kann auch einen Hilferuf der Natur herauslesen.
So berührend und beeindruckend wie der Text sind auch Linda Wolfsgrubers Illustrationen. Blau und Gelb dominieren die Seiten. Sie stehen für Tag und Nacht, für die Kälte des Eisbergs, der in der Wärme dahinschmelzt. Genau wie im Text, passiert auch in den Bildern wenig. Keine Landschaften, keine Personen, keine anderen Meerestiere lenken den Blick der Betrachtenden ab. Wir sehen nur den Eisberg, der von einem Schlepper gezogen wird. Wir sehen den Eisberg schmelzen, ihn immer kleiner werden. Erst dann kommt die Veränderung im Zeichenstil. Ein Aufschrei der Möwe und als wäre dieser das Zeichen gewesen, schwenkt das Bild plötzlich ein Ufer mit zwei Personen. Sie fischen den Rest des Eisbergs heraus. Einst riesig groß, ist von ihm nur noch ein kleiner Rest geblieben, der in einer Handfläche Platz hat.
Linda Wolfsgrubers Bilder sind ebenfalls sehr verträumt. Still und leise lassen sie unsere Gedanken dahingleiten, genau wie den Frachter auf den Wellen. Kein zusätzliches Detail lenkt uns ab, ja nicht einmal der Text, der ganz bewusst auf der gegenüberliegenden Seite gedruckt wurde. Vor gelben Hintergrund mit blauer Farbe fügt er sich in diese Komposition ein, hat seinen eigenen Raum, der uns die Freiheit gibt, beides getrennt voneinander zu erleben und gleichzeitig eine Verbindung zu spüren.

Der kleine Eiskönig

Jede*r Autor*in hat dieses eine Herzensprojekt, das man so gerne in einem Buch veröffentlicht sehen möchte. Bei Uwe-Michael Gutzschhahn war es der Text über den kleinen Eiskönig. Es sollte lange dauern, bis sich sein Wunsch erfüllte. Doch nun kann er mit Stolz ein Bilderbuch präsentieren, das eine große Geschichte enthält, in der wenig passiert, die uns aber dennoch dazu verleitet, unsere Gedanken schweifen zu lassen. Einen nicht unbeachtlichen Teil haben auch Linda Wolfsgrubers Illustrationen daran, die Stimmung und Atmosphäre auf den Punkt genau einfing.

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