Lügenschwester

von Claudia Puhlfürst
Rezension von Janett Cernohuby | 30. Juni 2015

Lügenschwester

Der Zweck heiligt bekanntlich die Mittel. Doch darf man diese Redewendung wirklich ernst nehmen? Ist es wirklich vertretbar, zum Erreichen seiner Ziele ohne Rücksicht auf seine Mitmenschen zu agieren? Ohne Rücksicht auf seine Liebsten? Claudia Puhlfürsts Jugendroman "Lügenschwester" greift diese Frage in gewisser Weise auf.

Wieder einmal hat sich Kat mit ihrer Mutter über das Thema Führerschein und erstes Auto gestritten. Dabei ging es vor allem darum, wer beides bezahlt. Wieder einmal flogen böse Worte und am Ende die Zimmertüren. Trotzdem ist dieser Streit anders, denn am nächsten Morgen ist Kat verschwunden. Ihre jüngere Schwester Sarah schenkt dieser Tatsache erstmal nur wenig Beachtung. Schließlich ist es nicht das erste Mal, dass Kat nach einem Streit abgehauen ist. Vermutlich ist sie wieder einmal zu einer ihrer Freundinnen gegangen und schmollt dort. Am Nachmittag, nach der Schule, wird sie schon wieder zurückkommen und so tun, als wäre nichts passiert. So wie immer.
Als Sarah dann auch noch ein seltsames Entführerschreiben im Briefkasten findet, platzt ihr der Kragen. Dieses Mal ist Kat zu weit gegangen, ihre eigene Entführung zu inszenieren und dann auch noch solch einen Brief zu schicken! Sie lässt den Brief einfach verschwinden. Doch als zwei weitere eingehen, machen sich doch leise Zweifel bei ihr breit. Was, wenn Kat tatsächlich entführt wurde? Zu sehr hat sich Sarah jedoch mittlerweile in Lügen verstrickt und wagt nicht mehr, die Wahrheit zu sagen…

Und mehr wollen wir an dieser Stelle nicht verraten. Außer, dass dieses Buch absolut lesenswert und äußerst spannend ist.
Denn wer lügt hier? Sarah? Kat? Beide?
Wurde Kat entführt? Oder ist das alles nur ein ziemlich mieser Plan, um Mama zu zwingen, die Kosten für den Führerschein und das Auto zu übernehmen? - Aber, würde man wirklich so weit gehen? Für einen Führerschein?
Für den Leser ist klar, dass Sarah sich hier eindeutig in etwas verrannt hat. Ihre große Schwester wurde entführt und schwebt in Lebensgefahr. Kein vernünftiger Mensch würde so ein Theater inszenieren. Eine Show, die fatale und weitreichende Konsequenzen nach sich ziehen würde. Es ist eindeutig: Sarah ist eine arrogante, eifersüchtige und neidische kleine Schwester. Eine kleine Lügenschwester, die offenbar ihrer großen Schwester nichts gönnt. Weder das Auslandsjahr noch die Freundinnen. Als Leser ist man erstaunt über so viel Selbstvertrauen und Selbstüberschätzung. Über solch großen Neid und die Bereitschaft, jemanden zusätzlich in Gefahr zu bringen. Die Zeichen, dass sie auf dem Holzweg ist, sind doch offensichtlich. Oder?
Der Roman ist spannend und fesselnd geschrieben. Nicht nur bis zur Mitte, sondern bis zur letzten Seite. Der Leser darf die Handlung aus zwei Perspektiven betrachten. Einmal die Schilderungen aus Sarahs Sicht der Dinge - wobei dies nicht in Ich-Form geschieht. So erfährt man von der Ausgangssituation und einem Streit, der offenbar Schuld an allem ist. Wir beobachten Sarah, wie sie sich immer mehr in einem Netz aus Lügen verstrickt und welche Anstrengung es sie kostet, dieses aufrecht zu erhalten.
Dann kommt ein Perspektivenwechsel und Kat erzählt von der Entführung. Dieses Mal aus der Ich-Perspektive. Und dieses Mal erfährt der Leser mehr. Viel mehr. Und vor allem etwas ganz anderes, als anfangs gedacht. Und man stellt sich die Frage, wer ist hier die Lügenschwester und warum. Der Nebel lichtet sich, wenngleich noch immer vieles im Trüben bleibt. Doch eines wird schnell klar: die Handlung hat an dieser Stelle keineswegs an Spannung verloren. Im Gegenteil, jetzt geht es erst einmal richtig los. Denn jetzt beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit, der sich zuspitzt, als Sarah auch noch von Zuhause wegläuft. Um ihre Schwester zu suchen. Um ihren Fehler wieder gut zu machen. Um die Schuld von sich zu weisen.

"Lügenschwester" ist ein sehr spannender und fesselnder Jugendroman. Über ein verschwundenes Mädchen, eine Entführung und eine kleine, eifersüchtige Schwester, die glaubt, alles sei nur inszeniert. Doch das ist nur der Anfang. In Wahrheit steckt viel mehr hinter der Geschichte, als man glaubt. Und genau das macht den Roman zu einem verdammt spannenden Buch, das man nicht mehr aus der Hand legen möchte. Nicht mehr aus der Hand legen kann. Daher bleibt uns abschließend nur noch zu sagen: Kaufen und Lesen!

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