Das Camp der Unbegabten

von Boris Koch
Rezension von Stefan Cernohuby | 15. Mai 2021

Das Camp der Unbegabten

Es gibt Menschen, die unterteilen die Bevölkerung in unterschiedliche Kategorien. Für sie gibt es kluge, begabte oder unbegabte Personen. Wie viel extremer müsste eine derartige Unterteilung ausfallen, wenn es tatsächlich übernatürliche Fähigkeiten gäbe, die jeder Mensch erringen könnte? Dies ist zumindest eines der Themen, die Boris Koch in seinem Jugendroman „Das Camp der Unbegabten“ aufgreift. Aber längst nicht das einzige.

Bjarne hat seit frühester Jugend einen Traum. Er will fliegen können. Und wenn er fliegen meint, spricht er nicht davon Pilot zu werden oder Raumfahrer. Seit einigen Jahrzehnten gibt es die Möglichkeit, dass jeder junge Mensch bis zu seinem 18. Geburtstag eine spezielle Begabung entwickelt, die sich dann einfach manifestiert. Was die Auslöser dafür sind, darüber wird nur gemutmaßt – beziehungsweise gibt es diverse Konzepte, die von gleichfärbiger Ernährung bis hin zu Schockerlebnissen alles abdecken. Als Bjarne mit seinem Freund Luca von einer 17 Meter 42 hohen Brücke springt, denkt er nur ans Fliegen, nicht aber an einen gebrochenen Fuß. Und schon gar nicht daran, dass Luca plötzlich die Fähigkeit der Nachtsicht erhält und fortan ein Star ist. Da seine Bemühungen, das Auftreten einer Begabung zu provozieren immer riskanter werden, findet er sich kurz darauf in einem „Action Camp für Unbegabte“ wieder. Dort soll unter anderem die Persönlichkeit von Jugendlichen mit dem Wunsch eine Begabung zu halten, gefördert werden – mit Aussicht auf ein Duell mit einem Camp der Begabten am Ende der Ferien. Doch dann überschlagen sich die Ereignisse, als inmitten eines Häuserwettbewerbs und erster romantischer Anwandlungen hintereinander zwei Begabte entführt werden. Was ist da passiert? Können hier Unbegabte bei der Aufklärung helfen?

Wer glaubt, dass es hier um die Jugendvariante eines Superhelden-Romans geht, liegt falsch. Ja, es geht um spezielle Begabungen von Jugendlichen, die diese zu Stars machen. Tatsächlich handelt es sich aber beinahe durchgängig um komplett unbrauchbare Fähigkeiten, zum Beispiel Nägel mit bloßen Händen einschlagen zu können oder nach Belieben Tätowierungen auf der eigenen Haut erscheinen lassen zu können. Das verhindert allerdings nicht, dass die Betroffenen hunderttausende Fans und Follower in sozialen Medien haben. Und Berühmtheit verändert. Auch die Eltern des Protagonisten wollen unbedingt, dass er eine Begabung entwickelt, auch wenn sie übertrieben oft bekräftigen, dass sie ihn trotzdem lieben werden, auch wenn er keine entwickeln würde. Dies alles, mitsamt der im Roman folgenden Ereignisse, hält unserer Gesellschaft einen Spiegel vor. Wir leben in einer Zeit, in der man uns beibringt, dass jeder alles schaffen kann, wenn er sich nur viel Mühe gibt. Das bezieht sich sowohl auf berufliche Laufbahnen als auch auf Talentshows oder den Traumjob Influencer. Boris Koch stellt fest, dass man alles ein wenig differenzierter betrachten muss. Begabungen fallen in der Regel nicht vom Himmel – auch Begabte müssen hart arbeiten, um ihre Fähigkeiten zu erhalten. Zudem kann man von 15 Minuten Ruhm in der Regel nicht leben, selbst wenn man einmal in einer Fernsehshow aufgetreten ist oder eine bekannte Talentshow auf dem zweiten Platz belegt hat. Und auch wenn man sich noch so anstrengt, hat mancher vielleicht trotzdem nicht das Zeug, um es ganz an die Spitze zu schaffen. Boris Koch weist gerade durch sein alternatives Szenario mit spontan entstehenden „Begabungen“ darauf hin, wohin sich eine Gesellschaft entwickeln könnte, in der jeder unbedingt etwas Besonderes sein möchte – und das in einem Buch ab zwölf Jahren. Man darf gespannt sein, wie das Werk von der Zielgruppe angenommen wird. Denn neben allen verpackten Themen ist es auch ein spannendes Ferienabenteuer mit einigen Überraschungen und toller Charakterentwicklung.

„Das Camp der Unbegabten“ ist ein Kinderbuch ab zwölf, das nicht nur Themen wie „Superkräfte“ und Entführungen in die Handlung eingebunden hat, sondern auch Gedanken über Selbstbewusstsein, den Wunsch jemand Besonderer zu sein und die Gier nach Anerkennung und sogar Berühmtheit aufwirft. Es ist ein Buch, das zu erden vermag - vielleicht gerade, weil der Protagonist unbedingt Fliegen können möchte. Und es erzählt eine spannende Geschichte, die auch den jungen Lesern gefallen wird.

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